Damaskus? DAMASKUS? Ja, Damaskus.
Und wie kommt man da hin? Mit dem Bus aus Beirut!
Und hat man da keine Angst? Nö, ich habe meinen (ebenfalls) reiselustigen Hautarzt gefragt und der antwortete nach einer Sekunde: „Ja, würde ich machen!“ und so waren die letzten Zweifel der besorgten Ehefrau ausgeräumt.
Und ehrlich gesagt, haben wir keine Sekunde Angst oder Sorge gehabt und uns auch kein einziges Mal gefragt, ob es die richtige Entscheidung war.
Anfangs fand ich die Idee im Herbst 2021, als der polnische Laufreiseveranstalter, der auch Mitglied im Country Club ist, sie das erste Mal vorstellte, eher „schräg“. Doch mit fast einem Jahr Anlauf, der Zusage diverser bekannter und befreundeter internationaler Marathonsammler, dem Syrischen Olympischen Komitee als Partner, war es zwar kein Selbstgänger, aber auch kein Himmelfahrtskommando.

Die meisten Gedanken haben wir darauf verschwendet, ob wir am Vorwochenende nicht noch die Reise um Algerien erweitern sollten, was wir dann aber verworfen hatten, um nicht unsere bereits für die Einreise nach Syrien registrierten Reisepässe nochmal nach Berlin in die algerischen Botschaft zwecks Visumsantrag zu senden. ZUM GLÜCK, denn kurz vor dem Termin haben die Algerier die Veranstaltung um eine Woche nach hinten verschoben. Das wäre somit eine no-marathon-Reise nach Algerien geworden.

Die zweitmeisten auf die max. 12-Monate alte Polioschutzimpfung die der Libanon bei der Einreise aus Syrien fordert. Hat einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, bis unser Hausarzt unserem Wunsch zugestimmt hat. Übrigens hat NIEMAND nach dieser Impfung gefragt oder kontrolliert, als wir auf der Rückreise in den Libanon eingereist sind.

So sind wir also montags via Istanbul (die haben den kleineren Flughafen im asiatischen Teil übrigens während Corona richtig aufgefrischt!) nach Beirut geflogen. Dort lange Schlangen bei der Einreise, aber unser vorbestellter Taxifahrer hat gewartet und dafür auch sein Trinkgeld bekommen. Das Hotel in Beirut war ok, nahe der Promenade, so dass ich am Dienstag morgen einen Frühstückslauf machen konnte. Herrlich im November in Shorts und T-Shirt und ganz vielen Mitläufern, Spaziergängern, Angler, etc. und Helikoptermüttern, die auch dort ihre Kinder mit dem SUV in die Kita bringen und dabei eine Fahrspur zum Parkstreifen degradieren.
Nach dem Frühstück trafen wir Dieter aus Bochum und schauten uns Beirut auf eigene Faust an. Das im Bürgerkrieg zerschossene Holiday Inn-Hotel sieht übrigens noch genauso aus wie vor 5 Jahren.

Abends dann Besprechung  (mit Ausgabe der Startnummern und T-Shirts) der Reise mit dem Reiseveranstalter und fast allen Teilnehmern. Ein großes Hallo nach 2 ½ Jahren, denn viele sahen wir nach Corona das erste Mal wieder, wie die Franzosen und die Finnen. Klaus aus Frankfurt war noch nicht da, denn die Autobahn zwischen Kassel und Frankfurt war vollgesperrt und er verpasste seinen Direktflug nach Beirut. So musste er über Istanbul umbuchen und kam erst spät in der Nacht an – nichts Ungewöhnliches für einen gestandenen Ländersammler.
Am nächsten Morgen sollte der Bus um 8:00 Uhr an unserem Hotel Richtung Syrien starten: pünktlich. Ob der Busfahrer es mit der Abfahrt in Damaskus verwechselt hat oder erst ein paar Löcher abdichten musste (auf der Hinfahrt regnete es und das Wasser tropfte durch das obere Gepäckfach) ist nicht bekannt. Auf jeden Fall starteten wir deutlich später, verbrachten noch einige Zeit bei der Einreisekontrolle (zum Glück nur die Pässe und nicht das komplette Gepäck) und kamen erst am Nachmittag in Damaskus an. Der Weg zum Hotel zeigte das Bild ein normalen arabischen Großstadt. Kurzer Check-In im 5-Sterne-Hotel (haben nicht wir, sondern der Reiseveranstalter und die syrische Agentur ausgesucht; war sehr schön und wahrscheinlich auch besser so) und dann ging es mit Kleinbussen in die Altstadt, um die Umayyaden-Moschee zu besichtigen. Eine der ältesten Moscheen der Welt, mit dem Schrein von Johannes, dem Täufer. Und weil wir so spät waren, wurde die extra für uns offen gelassen. Später tauschten wir bei unseren syrischen Reiseleitern Geld. 20 Dollar gegen ein 6cm dickes Geldbündel, das mit einem Gummiband zusammengehalten wurde. Anschließend zu Fuß zu einer syrisch-orthodoxen Kirche im christlichen Teil der Altstadt. Wieder draußen sprach ich mit einem Schreiner, der mosaik-verzierte Holzschachteln im Schaufenster hatte, und begrüßte ihn auf arabisch, worauf er mit „Bon soir“ antwortete. Kommt aus seiner Schulzeit bei Nonnen. Das Nebeneinander der Religionen und Volksgruppen erinnerte stark an Jerusalem. Danach ging es ins Restaurant, in dem wir lecker zu Abend aßen und wir den ersten, sehr positiven Eindruck der syrischen Küche bekamen. Vegetarisch ist dort kein Fremdwort und ich kam immer auf meine Kosten.
Am nächsten Tag fuhren wir im 4er Konvoi Richtung Nordosten (also irakische Grenze) nach Palmyra und Homs. An dieser Straße durch die Wüste waren alle 10-20 km Kontrollstellen der Armee, die die Passierscheine bzw. Reiseanlass prüften, aber auch diverse Militärstützpunkte, die die Straße nach Norden sichern. Der Konvoi bestand aus einer schwarzen Limousine, in der unser Reiseveranstalter, eine Vertreterin der syrischen Agentur und ein Regierungsmann saßen, die dafür sorgten, dass wir an jeden Checkpoint ohne große Zeitverluste durchfahren konnten. Dann der Kleinbus, in dem 4 jungen Amerikaner mit 2 Kleinkindern reisten, die als Prediger im Libanon arbeiten, und schon immer mal nach Syrien wollten. Und die zwei „Mannschaftswagen“ mit den internationalen Läufern und den Reiseführern Bashar und Rami, die neben Übersetzungen neben Einblicken ins tägliche syrische Leben, auch welche in die besondere aktuelle Lage gaben.
Auf der Fahrt begegneten wir auch russischen Soldaten und Militärfahrzeugen – die sollten wir auf keinen Fall fotografieren -, die an strategischen Punkten im Land sitzen, um zu reagieren, wenn der IS noch mal zurückkommt. In Palmyra hat der IS offensichtlich ganze Arbeit geleistet und neben Teilen der antiken Stadt auch die Gebäude der modernen Stadt so zerstört, dass von 50.000 Einwohnern nun nur noch ein paar hundert dort leben. Beim Verlassen der Stadt konnte ich ein paar Kinder mit meinen Bällen glücklich machen. Zum sehr späten Mittagessen ging es weiter nach Homs. Das ist zwar stärker bewohnt, die Gebäude sind teilweise stark beschädigt. Nach dem Essen ging es drei Stunden zurück nach Damaskus, wo das Abendessen im Hotel schon wartete. Danach wollte ich mir noch die Füße vertreten, fand es aber deutlich zu dunkel in der Hotelumgebung und wollte schon zurückgehen. Da traf ich die Reiseleiterin, die einer Amerikanerin das Café zeigen wollte, in dem wir während des Laufs auf Toilette gehen durften. Perfekte Lage direkt am Start und in jeder Wendepunktrunde lief man 2-mal dran vorbei.

Nach einer kurzen Nacht, einem kleinen Frühstück und den üblichen Fotos gingen wir alle gemeinsam zum Start. Dort warteten schon ein paar syrischen Marathon- und Halbmarathonläufer und ganz viele Kinder und Jugendliche, die am 10-Kilometerlauf teilnehmen sollten. Alle hatten das weiße Veranstaltungs-T-Shirt an. Eine Seite der 3-spurigen Straße war komplett und für die gesamte Laufzeit für uns abgesperrt und es gab 2 gut ausgestattete Verpflegungsstationen auf der 5-km-Wendepunktstrecke. Der Start war um 7 Uhr, kurz nach Sonnenaufgang. Die Diskussion im Vorwege um die Laufkleidung war unnötig, denn kurze Hose und Kurzarmlaufhemd waren überhaupt kein Problem und die Frauen sind sowieso fast alle ohne Kopftuch unterwegs gewesen.
Nach dem Start rannten wie immer die 10er los, aber auch der Schweizer und die polnischen Marathonis waren gut unterwegs . Ein syrischer Marathoni war offensichtlich verspätet gestartet, denn der rollte das Feld von hinten auf und überholte nach 1,5 Runden den führenden Schweizer. Eine der mitreisenden Amerikanerinnen war marathon-unerfahren und „zahlte“ am Ende mit Krämpfen und eigenartigen Bewegungen am nächsten Tag. Doris unterstützte sie während des Laufs mit Magnesiumpulver, welches ihr zumindest etwas half. Die Strecke war perfekt durch viele Verkehrspolizisten von Autos und Mopeds befreit, die Rundenzählung und das Anreichen der Getränke funktionierten genauso gut. Am Ende der letzten Runde bogen wir ab in Richtung Tourismusministerium, das unsere Reise ebenfalls ermöglichte, vor dem der Zielbogen und der Zielbereich aufgebaut wurde. Beim Zieldurchlauf erhielt ich neben meiner Medaille eine unterschriebene Karte mit meiner Platzierung auf Platz 6. Die große Siegerehrung verpasste ich allerdings, weil ich gleich zum Hotel ging, mein Telefon holte, um danach Doris auf ihren restlichen Kilometern zu unterstützen. Doch schon während des Laufs hatte ich bei den Begegnungen festgestellt, dass meine Göttergattin heute „gut gefrühstückt“ hatte und sich an einigen ihrer Vorläufer festbiss und gut unterwegs war. Darum lehnte sie mein Angebot, mitzulaufen, dankend ab und zog die letzte Runde allein durch. Später berichteten ein amerikanischer und dänischer Läufer, dass sie richtig „Angst“ hatten, weil Doris einfach nicht abzuschütteln war; was die Zeit von 5:34 Stunden bestätigt. Nach dem Zieleinlauf noch ein paar Erinnerungsfotos und dann ab ins Hotel. Nach der Dusche bin ich noch in die Stadt gegangen, um ein unbegleitete Eindrücke zu sammeln. Die waren positiv, sowohl von der Umgebung als auch den Menschen. Abends fand in der obersten Etage des Hotels, mit herrlichem Rundumblick über die Stadt, das Galadiner und die Siegerehrung statt. Alles wieder vom feinsten, mit Ehrungen für die Sieger und auch für die Besonderen unter den Ländersammlern. Ich nutzte die Gelegenheit, unserem französischen Lauffreund Philippe, mit dem wir schon Hong Kong, Westafrika, Katar und Oman belaufen haben, eine Urkunde zum 200. Marathon zu überreichen.

Am nächsten Morgen wieder früh aufstehen, denn nach dem Auschecken begann der letzte Ausflug nach Maalula, einer Felsenstadt nördlich von Damaskus. Auf der Hinfahrt fuhren wir kilometerlang an zerstörten Wohngebieten vorbei. In diesen nördlichen Vorstädten soll sich der IS verschanzt haben, um Damaskus einzunehmen. Um den IS wieder zu vertreiben, wurden dann offensichtlich schwere Waffen eingesetzt. In der Stadt wurden wir sehr freundlich empfangen, durften frisch gebackenes Fladenbrot kosten und „plünderten“ die Souvenirshops, die wir dort fanden. An einigen Geschäften standen auch kyrillische Beschriftung, was auf die aktuellen Besucher schließen lässt.

Nach einem letzten Imbiss in Damaskus trennten wir uns von den syrischen Busfahrern und Reiseführern und es ging zurück zur libanesischen Grenze. Die Ausreise war problemlos, die Einreise war zwar zeitaufwendig, aber ebenfalls unproblematisch. Auf der libanesischen Seite wurden wir sofort angesprochen, unsere restlichen syrischen Pfund zurückzutauschen. Der Wechselkurs war ok, also weg damit. In Beirut stellten wir unser Gepäck nur noch im Hotel ab, gingen mit vier Reisefreunden am Yachthafen essen ( in dem Restaurant steht sogar die Schischa auf der Menukarte). Die Wartezeit bis zur Abfahrt zum Flughafen überbrückten wir in der Hotellobby und checkten bereits online ein, allerdings ohne Boardingkarten zu erhalten. So mussten wir uns also in der Schlange am Flughafen anstellen, die aber recht schnell abgearbeitet war. Die Ausreise funktionierte deutlich schneller als die Einreise am Montag – und auch die filigrane Kontrolle unserer Reisepässe, ob dort evt. israelische Stempel drin wären, fand diesmal nicht statt. Zumindest haben wir es nicht bemerkt. Mit dem Nachtflug ging es via Istanbul zurück nach Hamburg,  Doris‘ 91. bzw. mein 92. Länderpunkt im Gepäck.

Kommentare

Submitted byWerner.Kerkenbusch on Di., 29.11.2022 - 18:05

Hallo Mario,
wieder ein spannender Abenteuerroman. Da braucht man Mut und Nerven. Gut gemacht!
Viele Grüße aus Oberhausen