Nach vielen Wochen mit trübem kaltem regnerischem Wetter, allein am Donnerstag hatte es in Stuttgart den ganzen Tag geregnet, gibt es endlich die Wende zum besseren und der Flug am Freitag nach Stockholm erlaubt bei nahezu durchweg wolkenlosem Himmel einen herrlichen Blick von oben. Auf unserem Fußweg zum Hotel ist mächtig was los. Auf den Strassen feiern die schwedischen Schüler der Abschlussklassen ihr Abitur. „Ta studenten“ ist ein besonderer Tag im Leben eines Schülers, er bedeutet das Ende der langen Schulzeit und nun beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Dazu gehört auch eine Fahrt auf geschmückten und mit leistungsstarken Stereoanlagen ausgerüsteten LKWs durch die Innenstädte. Zahlreiche solcher Wagen mit kreischenden und feiernden Schülern sind heute in Stockholm unterwegs.

Manche feiern nicht so rustikal, sondern etwas nobler. Ich bin zusammen mit meinem Lauftreff-Kollegen Peter hier und wir sind im Hotel Crystal Plaza unweit des Start-/Zielgeländes bestens untergebracht. Daher führt unser erster Weg zur Startnummernausgabe. Am Eingang des Zeltes gibt es erstmal eine Packung Nudeln. Danach erhalten wir unsere Startnummer inklusive Chip und schlendern durch die kleine Marathonmesse. Ein Gutschein für die Pastaparty ist auch dabei und die ist ideal gleich neben dem Zelt gelegen. Es ist toll, diese endlich mal wieder im Freien geniessen zu können bei diesem herrlichen Wetter. Sogar Livemusik wird hier gespielt.

Der Samstag beginnt mit wolkenlosem Himmel und da der Marathon erst um 14:00 Uhr gestartet wird, ist noch genügend Zeit für einen Stadtbummel. Dann gehen wir gemütlich in Richtung Start. Der Weg führt durch den Humlegarden. Hier geniessen die vorwiegend Jugendlichen die Sonnenstrahlen. Es ist aber nicht heiß. In der Sonne schon warm, aber angenehm im Schatten. Kurz vor dem Startgelände ein kurzer Blick auf meine Uhr. Nanu, was ist da los? Keine Anzeige! Ich drücke auf alle Tasten, klopfe auf die Uhr – nichts passiert. Also schnell zurück ins Hotel und die Ersatzuhr holen. Wenn man eine passende Ziel-60 Zeit laufen möchte, ist eine funktionierende Uhr schon von Vorteil. Auf dem Startgelände angekommen, habe ich aber keine Chance, Peter wieder zu treffen. So viele Menschen auf einem Fleck ist schon gewaltig und kommt zum Glück nicht allzu oft vor.  

Wie bereits erwähnt ist es nicht so warm wie in den Vorjahren. Dennoch hat der Veranstalter vorgesorgt, schenkt auch im Startblock bereits Wasser aus. Pünktlich erfolgt der Start und das große Feld – rund 15.000 Teilnehmer, mit über 20.000 Teilnehmern gab es einen neuen Melderekord – versucht auf den ersten Metern seinen Rhythmus zu finden. Musikgruppen halten uns Läufer an zahlreichen Punkten bei Laune.

bei km 3 laufen wir auf der Strandvägen zum ersten mal am Wasser entlang, ein sehr schöner Streckenabschnitt. Im Zentrum, aber auch an vielen anderen Stellen, gibt es Publikum. Erkennt ihr die Dame oben rechts in Bildmitte?
Ich zeig sie euch in Großaufnahme, denn das Bikinigirl, wie ich es getauft habe, ist unser treuester Fan, steht an zahlreichen Punkten der Strecke.
Wir laufen vorbei am Kungsträdgarden. Hier kann man die schwedische Kochkunst in zahlreichen hier aufgebauten Lokalen genießen. Wir sind hier am Freitag abend mal durch geschlendert, hatten aber nach der Pastaparty nicht unbedingt noch Appetit.
Ich habe heute eine Mission zu erfüllen. Zwei Wochen vor dieser Veranstaltung ging ein Rundmail im Vorstand rum, Peter W. liefe hier Marathon/Ultra Nr. 800 und man wollte abklären, wo und wann man ihm die Urkunde überreichen könnte.
"Kein Problem, ich bin in Stockholm" bot ich als Lösung an und so hatte ich diese Urkunde mit zum Marathon genommen, aber wohin damit bei diesen Menschenmassen auf dem Startgelände?
Es gibt einen Infostand, doch ob mir die drei schwarzen Damen, die hier eingeteilt sind, auch helfen können?
Ich bin skeptisch und tatsächlich ist der einzige Rat, den ich dort bekomme, die Urkunde während dem Lauf mitzuführen. Also nicht wirklich hilfreich.
So langsam wurde ich nervös, hatte den Kleiderbeuel noch nicht abgegeben und noch keine Lösung für die Urkunde. Noch 20 Minuten bis zum Start. Ich ging nebenan zum Olympiastadion, wo später der Zieleinlauf sein wird, suche nach einem Offiziellen und schildere ihm mein Problem. "Geben sie mir die Urkunde, ich bewahre sie im Pressebüro für sie auf".
Eine beruhigende Nachricht und somit war dieses Problem zunächst mal gelöst und das eigentlich optimal.
Jetzt gilt es nur, vor Peter W. im Ziel zu sein, um die Übergabe durchführen zu können. Im vergangenen Jahr war es für Peter an gleicher Stelle die Nummer 700. Er hatte also fleißig Marathons gesammelt, was natürlich zu Lasten einer schnellen Zeit geht. Darauf setze ich.
Mein Ziel deshalb, möglichst unter 4:30 zu laufen, das sollte hoffentlich reichen.

Nach einer ersten leichten Steigung geht es fast wie durch einen Tunnel unter der Straße hindurch. Ich laufe im Schnitt 6 min/km und der „Pacemaker“ vor mir ist daher sicherlich ein kleiner Scherzbold. Es wird hier nämlich ausschließlich der Marathon gelaufen. Einen Halbmarathon gibt es während dieser Veranstaltung nicht. Eine Verpflegungsstation ist erreicht und ich erblicke Renate, die bis dahin wohl ganz flott unterwegs war.

Renate kennt die Strecke und warnt mich. Gleich folgt ein längerer Anstieg auf eine Brücke. Am Fuß können die Mutigen eine kleine Dusche nehmen, aber ich mag solche Wasserspiele nicht, tun auch dem Fotoapparat nicht gut. In der Tat zieht es sich mühsam hinauf auf die Västerbron Brücke, ein Anstieg, der zu allem Überfluß in der zweiten Runde nochmal zu bewältigen ist. Dafür werden wir am Ende mit fetziger Musik belohnt und laufen wenig später auf das Stadhuset, das Rathaus zu.

Über die Stadhuset Brücke kommen wir wieder ins Stadtzentrum.12 km sind an dieser Verpflegungsstation erreicht. Es geht leicht bergan und da steht es wieder am Streckenrand, das Bikinigirl. Bei solch einem Publikum darf man natürlich keine Schwäche zeigen. Wir sind inzwischen auf der zweiten Runde, die uns in die Grünzonen Ladugarsgardet und Djurgarden führt. Km 20 ist geschafft und das Bikinigirl ist auch schon da.
Wir biegen ab nach links und laufen vorbei am Kaknästornet. Dieser 34 stöckige Turm wurde mit 72 in den Boden getriebenen Stahlpfosten befestigt und misst eine Höhe von 55 Metern.
Der Turm ist heute zentraler Sendemast des schwedischen Radios und Fernsehens.

Ich fühle mich noch sehr gut und die geplante Zeit unter 4:30 ist zu diesem Zeitpunkt sehr realistisch. Renate hatte ich unterwegs getroffen, war am Vereinstrikot auch sehr gut auszumachen. Außerdem ist sie weiter vorn gestartet, so dass irgendwann dieses Treffen möglich wurde.
Peter vermute ich aber hinter mir, so dass eine Begenung unterwegs unwahrscheinlich ist. Ja solche Sorgen beschäftigen einen eben auch während solch einer Veranstaltung.
Aber was sollte schon schief gehen? Trainiert bin ich ja eigentlich durch das tägliche Laufen sehr gut und Mario hatte mir im Vorfeld mitgeteilt, dass der Zieleinlauf sehr übersichtlich sei.

Wie ein Lindwurm zieht sich das Läuferfeld um diesen Grünabschnitt. Bei so einem Wetter haben natürlich auch die Helfer an den Verpflegungsstationen ihren Spaß, während die kleinen Hündchen eher gelangweilt die Szenerie verfolgen. Wenig später sehen wir den Kaknästornet noch einmal von der anderen Seite. Es läuft noch gut bei km 25. Kurz danach wieder der Blick auf das Wasser mit Yachten im Vorder- und Kreuzfahrtschiffen im Hintergrund. Hans-Peter, ebenfalls von unserem Lauftreff, läuft gerne hier in Stockholm. Doch über die Wintermonate war er gesundheitlich angeschlagen, kam so nicht richtig in Form. Es geht vorbei am Nordischen Museum und dann über eine Brücke zurück nach Östermalm. 

Dann biegen wir ab nach links und sind wieder auf der Strecke der ersten Runde. Die Angabe 3 km schockt im ersten Moment, doch diese Runde ist nur 17 km, so dass wir nun km 28 erreicht haben. Energieriegel gibt es nun als kleine Stärkung. Auch bei 30 km bin ich noch hoch zufrieden mit meiner Zeit, merke aber bereits, dass es nicht mehr lange so laufen wird. Das bestätigt sich bei km 35. Ok, die Steigung hinauf zur Västerbron Brücke war in diesem Abschnitt zu bewältigen, aber auch ohne hätte ich nun zu kämpfen gehabt. Die ein oder andere kurze Gehpause streue ich nun ein und finde ein wenig Ablenkung bei den Samba-Tänzerinnen.

Die Sprühanlage lasse ich aber trotzdem rechts liegen, greife dafür wenig später zum Traubenzucker. Die Quittung bekomme ich bei km 40 präsentiert, aber halb so schlimm. Ab 4:16 sind für meine Ziel-60 Sammlung einige Lücken vorhanden, die es zu füllen gilt. Das Bikinigirl kann nicht überall sein, aber sie hat ja noch nette Kolleginnen, die hier gerne aushelfen. Dann ist das Ziel erreicht und mit netto 4:16:09 ist wieder eine passende Zeit geschafft. Sofort gehe ich zum Pressebüro, um die Urkunde für Peter zu holen, die ich auch sofort bekomme. Kostet alles nur wenige Minuten. Ich bin gerade rechtzeitig wieder am Ziel, als Lauftreffkollege Hans-Peter in netto 4:19:27 einläuft.

Nun heißt es warten und aufpassen, wenn unser Jubilar Peter einläuft. So manch müder Krieger sucht vor meinen Augen wieder nach Kräften, versperrt mir dadurch ab und zu die Sicht. Medaillen werden ausgegeben und auch Renate hat das Ziel erreicht. Läuft nach netto 4:51:26 ein.
Aber wo bleibt Peter? Habe ich ihn vielleicht verpasst?
Nach 5:40 brutto gebe ich auf, denn mir wird langsam kalt. Keinen Schluck hatte ich seit meinem Zieleinlauf getrunken, jetzt brauche ich auch etwas. Außerhalb des Olympiastadions wird Wasser verteilt, auf dem Startgelände gibt es gegen Rückgabe des Chips das Finishershirt und einen kleinen Verpflegungsbeutel. Dann schnappe ich meinen Kleiderbeutel und begebe mich zurück zum Hotel.
Mein Zimmerkollege Peter ist längst geduscht, hat Bierdosen auf dem Tisch stehen und ist ganz begeistert von der tollen Zielverpflegung. Bier, Hotdogs und süße Stückle, wie es im schwäbischen heißt, im Überfluss.
Entweder war das alles bei mir bereits weg oder ich hatte nicht darauf geachtet.
Etwas dumm gelaufen und dabei bin ich vollkommen selber schuld. Shit happens.
Lauftreffkollege Peter war übrigens in netto 3:48:06 auch eine passende Zeit gelaufen. Doch was war mit Peter W. dem Jubilar? Ich schaue ins Internet und finde ihn mit netto 4:47:07 in der Ergebnisliste. 
Glückwunsch Peter, denn auch Du bist eine passende Ziel-60 Zeit gelaufen. Hätte ich nur besser aufgepasst, dann wäre mir nicht nur knapp eine Stunde warten erspart geblieben, sondern ich hätte mit einer gelungenen Überraschung diese tolle Veranstaltung erfolgreich abgerundet.

Grüße
 Michael Weber