Ingrid und Jürgen mit der Cessna

Zur Zeit der Corona-Krise sind alle Marathons ausgefallen. Nicht nur beim 100MC ist die Zählbarkeit der Marathons für einige Zeit ausgesetzt, sondern auch weltweit sind die Läufe storniert oder verschoben worden. So kann man sich nun mit der Vergangenheit beschäftigen und zwar mit besonderen Marathons, zu denen meine Frau Ingrid (damals wirklicher Kassenwart des 100MC) und ich (formeller Kassenwart) mit unserer Cessna 172  geflogen waren. Zur Klarstellung: das Kleinflugzeug war aber nicht mit Club-Geldern erworben worden.
Das Ganze begann beim Antarktis-Marathon vor über 20 Jahren. Wir Läufer waren schon wegen des bevorstehenden Marathons in dieser einzigartigen Gegend unseres Planeten ganz aufgeregt. Nur meine Frau kam nicht in Stimmung. Sie jammerte: alle würden nun den Marathon laufen und nur sie würde dumm dabei sein. So versprach ich ihr, nach unserem Rückflug nach Deutschland von dem Angebot einer Ultra-Leicht-Flugschule eines Probefluges Gebrauch zu machen. Nach dem Probeflug kauften wir dann auch ein Ultra-Leicht-Flugzeug. Meine Frau war ganz begeistert vom Fliegen und sie ist noch heute Mitglied der Deutschen Pilotinnen-Vereinigung. Nach 2 Jahren lokaler Flüge stiegen wir um auf eine Cessna 172, ein viersitziges Kleinflugzeug auch gut für längere Strecken. Ein Leitsatz für Flieger ist: „Der Weg ist das Ziel“, nämlich das Fliegen. So mussten wir nur noch Ziele finden, z.B. Besuch von Freunden, Mittagessen auf einer Insel oder aber auch mal zu einem Marathon, und davon gab es genug.
   So der Ems-Jade-Lauf über 72 km. Der bekannte Ultra-Läufer Stefan Schlett war extra zu diesem Ereignis aus Aschaffenburg angereist. Um ihm etwas Besonderes zu bieten, habe ich mit ihm am Tage zuvor die Strecke in niedriger Höhe abgeflogen. Es war ein schöner Flug entlang dem Ems-Jade-Kanal. Auch Hajo Meyer war gekommen und hatte bei uns übernachtet. Am nächsten Morgen fuhr uns meine Frau mit dem Auto zum Start in Emden. Es war ein sehr schöner Lauf, vorwiegend entlang dem Kanal. Allerdings Höhepunkt des Laufes war dann für Stefan und uns die Abholung aus Wilhelmshaven. Es war super Wetter und meine Frau kam anstatt mit dem Auto mit unserer Cessna. Ein wunderschöner Flug in der Abendsonne vorbei am Jadebusen und über die herbstlich gefärbten Wälder bildeten den Abschluss dieses Ultras.
   Der Helgoland-Marathon ist normalerweise von uns aus nur mit einer 1-stündigen Autofahrt und einer 2 ½ stündigen Schifffahrt zu erreichen. Jedoch bei schönem Wetter kann man auch fliegen. Eine Landung auf der Insel Helgoland ist wegen der kurzen Landebahn nur erfahrenen Fliegern mit einer Einweisung vorbehalten. Die hatten wir zum Glück schon. Da wir eine stabile Wetterlage hatten, konnten wir mit unserer Cessna auch tatsächlich fliegen. Der Marathon fand dann bei strahlendem Wetter statt. Ich lief mal wieder eine „Weber-Zeit“ und musste so noch 5 Min. vor dem Ziel warten. Ein Reporter interviewte mich, dem ich die „Weber-Zeit“ erklärte, auch die Raffinessen der Strecke mit dem Düsenjäger (ein steiles Teilstück der Strecke zum Oberland) und die Wende-Strecke auf der ca. 1,5 km langen Mole. 2 Wochen später berichtete meine Schwester aus Freiburg über einen entsprechenden Artikel in der Züricher Zeitung. Man kann auch Nichts verheimlichen. Früher waren wir des Öfteren nach Helgoland gesegelt, jedoch der Flug nach dem Insel-Marathon war ein sehr schöner Abschluss diese Marathons.
   Der Rennsteig-Ultra-78 km war ein anderes Mal das Ziel für einen Flug zu einem ehemaligen Studienfreund in Bayern. Wie schön, die lange Anfahrt wurde ersetzt durch einen sehr schönen Flug nach Eisenach. Der Start war wie üblich um 6 Uhr in der Früh. Auf der Strecke befreundete ich mich mit einem „Ossi“ - ich war der „Wessi“ und wir schwärmten beide von der Wiedervereinigung und insbesondere die vielen neuen Marathon-Möglichkeiten. Im Ziel gab es ein großes Festzelt und es wurde immer wieder gespielt: „Der Holzfäller ist tot, nein er lebt noch… „. Mit dem Bus ging es dann zurück nach Eisenach zu meiner Frau. Sie schaute böse drein. Auf die Frage, was denn sei, meinte sie: nach dem Aufstehen, Frühstücken, Haare waschen und Buch lesen war ich immer noch nicht da. So wollte sie aus Ärger etwas ganz Teures kaufen, um auch mich zu ärgern. Jedoch alle Geschäfte hatten in Eisenach bereits um 12 Uhr geschlossen. Daher: sie wollte nie wieder mit mir nach Eisenach fliegen.
   Besser war der Marathon in St. Michel, eine Burg-Insel mit einer schmalen Landverbindung an der französischen Atlantik-Küste. Der Flug führte über Holland und Belgien an die Atlantik-Küste bzw. St. Michel. Wir hatten das Glück, noch direkt auf der Burginsel ein Zimmer zu bezahlbarem Preis zu bekommen. Am nächsten Morgen ging es dann mit einem Taxi zum Start. Der Marathon verlief auf einer schönen Strecke.  Manche wunderten sich schon damals über mein fortgeschrittenes Alter – und das vor 15 Jahren. Der Marathon endete direkt bei der Insel, so dass meine Frau dieses Mal keine Probleme mit der Wartezeit hatte.
  Ein Flug zum Berlin-Marathon ist auch noch erwähnenswert. Wir waren auf der Insel Wangerooge und wollten zurück nach Oldenburg fliegen. Ich meinte, dass an diesem Wochenende der Marathon in meiner Geburtsstadt Berlin sei. Da meine Frau nicht protestierte, flogen wir dann mit unserem noch vollen Tank gleich nach Berlin statt Oldenburg. Es war zu der Zeit, als noch der neue Flugplatz in Berlin-Schöneberg sich im frühen Bauzustand befand. Der Anflug ging über einen Meldepunkt südlich des Platzes. Beim Einschwenken in den Endanflug sah ich ein großes Kreuz auf der Landebahn. Dann kam aber auch schon die Durchsage über Funk: „bitte die nächste Landebahn“. So wäre ich eventuell schon vor vielen Jahren auf der Landebahn des neuen Berliner Großflughafens gelandet. Nach der Landung ging es mit der Metro zur Anmeldung auf dem ehemaligen Flugplatz Tempelhof, wo wir früher schon öfter gelandet waren und wo dieses Jahr die Marathonmesse stattfand. Horst Preisler war dort, weil er seinen 1.000 Marathon hier laufen wollte. Er war Ehrengast und hatte Zugang zu dem VIP-Bereich. Ich behauptete, dass ich zu ihm gehörte und kam so durch die Kontrolle. Dort sagte ich, dass ich gerne auch mit ihm laufen wollte. Nach Zahlung einer Extra-Gebühr kam ich so auch noch zu einer Startnummer. Nach dem Lauf traf ich Horst und erzählte ihm stolz, dass ich inzwischen 100 Marathons absolviert hätte. Er meinte dann liebevoll: “Jürgen, ich habe auch mal klein angefangen“ - alles ist eben auch nur relativ.
    Es gibt noch über andere Marathon-Flüge zu berichten, jedoch waren dann die Marathons oft interessanter als die Flüge. Seit längerer Zeit fliegen wir nun nicht mehr (u.a. nach der Zerstörung unserer Cessna durch einen Tornado auf der Insel Wangerooge) und man kann wegen der Corona-Krise nicht einmal mehr Marathon laufen.
Zur Zeit bleiben einem nur kleinere Trainingsläufe und Erinnerungen an schöne Marathons.    

Jürgen Kuhlmey