Mein schönstes Ferienerlebnis - 

Ein Aufsatz von Thorsten Stohldreier

 

Ein Bericht über den Stubai-Ultra-Trail - City2Glacier

#StubaiUltraTrail #City2Glacier

 

Auf dem Zettel hatte ich diesen besonderen Lauf schon länger, sollte es sich doch dabei um eine besondere Herausforderung handeln.

Angemeldet habe ich mich erst circa sechs Wochen vor dem Lauf. Zu diesem Zeitpunkt war Tirol für uns Deutsche als Risikogebiet gerade aufgehoben worden.

Als Nenngeld wurden 128 Euro aufgerufen, was sich auf den ersten Blick viel anhört, bei dem Aufwand aber durchaus angemessen ist. Dazu kommen noch einmal zehn Euro für den Bustransfer.

Anmeldung und alle relevanten Informationen gab es professionell unter: https://www.stubai.at/ultratrail/ 

Die läuferische Vorbereitung erwies sich als etwas holprig. Berge in Hamburg zu trainieren ist ja immer etwas schwierig und sämtliche Mittelgebirgsläufe im Harz und im Sauerland, die ich sonst gerne als Vorbereitungsläufe genutzt habe, sind in diesem Frühjahr coronabedingt ausgefallen. So konnten als „Bergtraining“ nur der „Bergedorfer Gehölz Marathon“ (danke Martina Rantum) und der „Heide Ultra Trail - 80km“ (danke Klaus Meyer) genutzt werden. (Ein zusätzlichen Dank an Karsten August für die treue Begleitung und Assistenz!)

Geholfen hat mir auch die Tatsache, dass ich als gebürtiger Sauerländer das Berglaufen in den Genen verankert habe und nicht mehr trainieren muss ;)

Geholfen haben mir weiterhin die persönlichen Erfahrungsberichte von Claudia und Christoph, die vor zwei Jahren mitgelaufen sind. 

Knapp 1000 km Anreise von Hamburg waren diesmal nicht so dramatisch, da der Lauf mit dem Familienurlaub in Bayern kombiniert werden konnte.

Nach der Anreise wurde das Quartier in der Pension Sonnleiten (sehr zu empfehlen) in Neustift bezogen. Tolles Zimmer, bequemes Bett, riesiger Balkon, fantastische Aussicht und ganz ganz nette Gastgeber!

Organisatorisches Zentrum des Laufs war das Freizeitzentrum in Neustift. Dort musste man sich einschreiben und die Startunterlagen abholen. Alles freundlich und kompetent.

Neben dem Hauptlauf, dem Stubai K 67, gab es noch drei weitere Läufe, den Stubai K 32, den Stubai K 20 und den Stubai K8. Diese sind jeweils weiter hinten auf der Hauptstrecke gestartet und hatten entsprechend einen kürzeren Weg zum Ziel, welches für alle Läuferinnen und Läufer gleich war. Die Jochdohle! Zu allen vier Wettbewerben hatten circa 600 Sportler gemeldet.

Überhaupt kann man sagen, dass Plan B, die durchführende Agentur, sehr gut aufgestellt ist und alles im Griff hat. Alles war gut vorbereitet und beim Laufen habe ich mich jederzeit sicher, gut aufgehoben und gut verpflegt gefühlt. Großes Lob, Plan B, guten Job abgemacht! Man merkt auch, dass mit Stubai Tourismus und der Seilbahn Gesellschaft, starke Partner hinter dem Lauf stehen.

Aber, ich war doch sehr aufgeregt!

Die Nacht von Donnerstag auf Freitag habe ich sehr gut geschlafen, was mir gut getan hat.

Den Freitag habe ich zum Akklimatisieren genutzt. In der obligatorischen Gästekarte im Stubaital war die Benutzung aller Aufstiegshilfen inklusive.

So habe ich mich dazu entschieden, direkt von Neustift die Elfer Bahn zu nehmen und dann von der Bergstation (1900 hm) zur Elfer Hütte (2100 hm) aufzusteigen. Eine nette kleine Tour, auf der ich mehrere Läufer getroffen habe, die wohl die gleiche Idee hatten. Talwärts habe ich auch wieder die Bahn genommen, ich wollte mich ja so gut wie möglich schonen. Unten angekommen, erst mal wieder aufs Zimmer, 2 Stunden ablegen, schlafen war leider nicht möglich. Dann in die nahe gelegene Pizzeria am Dorfplatz, eine Nudel essen und ein großes alkoholfreies Weizenbier trinken. Da keine Pasta Party möglich war, gab es für jeden Teilnehmer, einen 15€ Verzehrgutschein, einzulösen in diversen gastronomischen Betrieben in Neustift.

Anschließend wieder aufs Zimmer, Laufsachen zurecht legen, Rucksack noch mal packen und überprüfen und Zeit totschlagen. Für den Rucksack gab es eine umfangreiche Pflichtausrüstung, die unbedingt mit zu führen war. Duschen, Zähneputzen, fertig machen für die Nacht.  Dann aber nicht ins Bett.

Um 22:00 Uhr bin ich los, zur nah gelegenen Bushaltestelle. Dort habe ich unter vielen anderen Läufern auch Marina aus dem Ruhrgebiet getroffen. 

Um 22:30 Uhr kam dann der Transferbus, der uns in 45 Minuten zum Start nach Innsbruck gefahren hat. In Innsbruck, auf dem Theaterplatz war dann schon ein kleines Gatter und eine PA aufgebaut, wo wir Läufer uns einfinden mussten. 

Um in den Startbereich zu kommen musste man eines der drei G nachweisen, geimpft, getestet oder genesen und seine Pflichtausrüstung vorweisen.

Die Veranstalter beschreiben den Lauf folgendermaßen:

„Der STUBAI ULTRATRAIL K67 ist die ultimative Herausforderung im Herzen der Alpen. Unter dem Motto „CITY2GLACIER“ gilt es innerhalb eines Tages von der Olympiastadt Innsbruck inmitten Tirols bis auf 3.150 Meter Seehöhe auf den Stubaier Gletscher zu laufen - von der Stadt ins ewige Eis. Der STUBAI ULTRATRAIL - CITY2GLACIER steht für ein unvergleichliches Abenteuer. Auf einer Gesamtstrecke von über 67 Kilometern verbindet der Lauf urbanes Feeling mit körperlicher Höchstleistung in beeindruckender Naturlandschaft. 5.356 Höhenmeter im Aufstieg und 2.796 Höhenmeter im Abstieg müssen bewältigt werden. Gestartet wird beim Landestheater Vorplatz in Innsbruck und über abwechslungsreiche Trails geht es bis ans Ende des Gletschertals, wo der spektakuläre Schlussanstieg über Schnee und Eis auf die "Jochdohle" (3.150 m) am Stubaier Gletscher auf die Läufer wartet.“

Und genau so ist die allgemeine Beschreibung, vollkommen klar und richtig!

Ich möchte jetzt in meiner Beschreibung aber den Schwerpunkt auf das Erlebte und das Gefühlte legen.

Schon vor dem Start war mir klar: Stulle, du musst in die Hufe kommen, sonst packt dich das Zeitlimit im Nacken! Nicht am Anfang, aber hinten raus! Wir Ultraläufer wissen: Hinten ist die Henne fett! Also nehme ich mir die von Claudia empfohlene Renneinteilung vor, am Anfang alles raus zu laufen was geht, um am Ende einen Puffer zu haben. Bekomme ich selten solche Tipps, meistens  hörte ich, lass es langsam angehen, hinten brauchst du die Kraft…

Wir stehen also ab 23:30 Uhr in dem Gate, und warten auf den Start. 206 Starter auf der Hauptstrecke, soweit ich sehen kann alle hochmotiviert, ich bin etwas eingeschüchtert. Um mich herum junge, dynamische, drahtige, tätowierte Menschen mit martialischer Ausrüstung! Irgendwo im letzten Drittel - ich, nicht mehr ganz so jung, leichter Bauchansatz und schon jetzt vor dem Start am schwitzen. Aber ich denke mir, Stulle, du hast schon ganz andere Sachen weggehauen…positiv denken - Stulle,  du hast Erfahrung, wenn es drauf ankommt hast du einen eisernen Willen und kannst richtig beißen! Außerdem bist du leidensfähig, alles Eigenschaften, die man im Laufe des Tages wahrscheinlich ganz gut gebrauchen kann!

Vor dem Start die üblichen Interviews mit den Favoriten und die alt bekannten Lieder. Ich hätte mir gewünscht, Maschine von Bilderbuch zu hören. Wenn ich schon mal in Österreich starte, gerne auch österreichische Musi!

 

Start: Innsbruck, 68km und 5356hm noch offen!

Punkt Null Uhr Startschuss und der Tross trabt los, durch die Innsbrucker Innenstadt. Abgesperrte Straßen, Polizeieskorte, Asphalt, flach - läuft, auf den ersten 2 km. Knapp unter 20° ich schwitze immer mehr.

Im Vorfeld hat der Veranstalter einen Zeitplan herausgegeben, auf dem jeweils für alle zehn Zeitnahme- und Verpflegungsstationen aufgeführt worden ist - erster Läufer, schnelle Läufer, langsame Läufer, Cut off - mit entsprechender Zeit. 

Ich glaube, ich hatte noch nicht erwähnt, dass ich nicht die 68 km Länge (die Strecke wurde um circa 1 km umgeleitet und verlängert, da im oberen Bereich große, unpassierbare Schneemassen liegen) für das Problem halte (am Wochenende vorher war ich 80 km locker gelaufen), sondern die knapp 5400 Höhenmeter, die es hier ist zu überwinden gilt.

Und ich muss ehrlich sagen, an alles an der Strecke kann ich mich auch nicht mehr erinnern. Ich habe mir eben die Fotos in der Galerie angesehen und mich einige Male gefragt, da musst du ja auch her gelaufen sein?

Also auf einer Ausfallstraße leicht bergauf aus Innsbruck und dann raus in irgendeinen dunklen Waldweg, Stirnlampe ein und weiter laufen. Auf der Ecke steht auch der Race Direktor, den kenne ich aus dem Briefing Video. Das muss irgendwo am Fuß vom Bergisel gewesen sein. Dann ein Schild von dem Panoramagemälde, da war ich als Jugendlicher mal drin. Weiter auf extrem schmalen Trails bergauf durch eine Klamm. Ich bin sehr zügig gelaufen und habe einen ganzen Tross an Läufern angeführt. Am Ende der Klamm, 

 

VP1 Stephansbrücke, 57km und 5013hm noch offen!

01:12 Uhr, Bomben Zeit!

Da ich von den 2,1 l Wasser, die ich mit mir mit Schleppe, gerade erst ein paar Schluck getrunken habe, laufe ich durch und bediene mich nicht an der Labestation.

Auf dem folgenden Abschnitt geht es rauf und runter, allerdings, wie zu erwarten, mehr rauf und ich laufe lange Passagen völlig alleine auf einem schmalen Pfad im Lichtkegel meiner Stirnlampe durch einen stockdunklen Wald. Immer wenn ich ein Reflektorbändchen im Baum erblicke, freue ich mich zu wissen, dass ich auf der richtigen Strecke bin. Irgendwann passiere ich eine Riesenbaustelle, eines der Spundlöcher des neuen Brenner Basistunnels. 

Im Wald und in Flussnähe ist es nun deutlich frischer, ich bin froh, dass ich mir über das kurzärmlige Laufhemd noch ein langärmliges gezogen habe. Andere sind noch im T-Shirt oder sogar schulterfrei unterwegs. Oh ich bin allerdings hier schon Klitschenass geschwitzt und triefe.

 

VP2 Telfes, 48,4km und 4436hm noch offen!

02:33 Uhr, läuft!

Ich fülle meine Softflasche nach und trinke auch so ein paar Schlucke am Verpflegungsstand. Nach Essen ist mir nicht, passt wohl nicht zu meinem Bio Rhythmus. Ab hier soll es wohl bergan gehen, ich nehme die Stöcke aus dem Rucksack und gehe davon aus, dass ich sie jetzt auch durchgehend brauche.

Wir kommen nun in das Skigebiet Schlick 2000. die Strecke geht weiter an einem Flusslauf bergauf. Es kommt so viel Wasser den Berg hinunter, dass es rauscht und spritzt. Die Luft ist gesättigt mit Wassertropfen und alles schlägt mir entgegen. Dazu eiskalte Luft, die den Berg herabströmt. Mir ist so kalt, aber ich traue mich nicht, auf freier Strecke anzuhalten um meinen Rucksack mit den wärmenden Sachen auszupacken. Also, Arschbacken zusammen kneifen und weiter. An dem Stück war ich einmal kurz dabei zu überlegen, in den Sack zu hauen. Aber selbst dann, ich muss ja trotzdem weiter, Auch wenn ich aufgebe trägt mich ja keiner nach Hause. Ich hetze mich so, dass ich nichts genießen kann. Endlich wieder ein VP. Für die fünfeinhalb Kilometer habe ich 1 1/4 Stunde gebraucht.

 

VP3 Schlicker Alm, 43,2km und 3873hm noch offen!

03:45 so kalt!

Ich muss mir unbedingt etwas Warmes anziehen. Allerdings sind meine Hände so kalt, dass ich den Rucksack nicht mehr vorne auf kriege, um ihn abzunehmen. Also bitte ich eine Helferin, mich zu unterstützen. Zusammen klappt es. Meine schöne rote Laufjacke angezogen, Mütze auf, Handschuhe an. Es ist immer noch stockdunkel, nichts zu sehen. Essen kann und will ich um diese Uhrzeit noch nicht. Aber ein warmer Tee, der tut gut und wärmt. 

Ab hier wird der Lauf richtig alpin. Es geht ins Hochgebirge. Seltsamerweise wird es wärmer und deutlich angenehmer. Ich erkläre mir das so, dass die Luft deutlich trockener wird, da wir vom Fluss abweichen und dadurch aus dem Sprühnebel herauskommen, auch die vom Berg herabströmende kalte Luft ist nicht mehr da. Fühlt sich zum ersten Mal gut an, obwohl es stetig bergauf geht. Gegen 4:15 Uhr bemerke ich, dass der Himmel hinter mir heller wird, es ist wolkenlos und sieht fantastisch aus. Mittlerweile fühlen sich meine Finger auch schon wieder etwas wärmer an, so dass ich mich in der Lage sehe, das Telefon raus zu holen und ein paar Fotos zu machen. Zwischendurch immer wieder Zweiergruppen mit Notfallausrüstung, die nach dem Rechten sehen am Weg. Irgendwann etwas weiter oben, ein traumhafter Sonnenaufgang. Wir steigen langsam aber stetig bis auf circa 2400 m auf, auf dem Grat schlängelt sich der Weg im leichten auf und ab bis zum nächsten VP, was passt, da ich richtig Hunger bekommen habe und ja auch fast schon Frühstückszeit ist. Für diese 6,3 km habe ich fast 2 Stunden benötigt.

 

VP4 Starkenburger Hütte, 36,9km und 3107hm noch offen!

Kurz nach 5:30 Uhr, endlich ist es hell!

Leichtes Frühstück, ein kleiner Schwatz und weiter geht’s. Ab nun geht’s stetig und steil bergab, durch nette Wälder, aber auf sehr anspruchsvollen Wegen bis ins Tal. Trail, steil, viele Wurzeln. Je tiefer ich komme, je wärmer wird es, irgendwo auf halber Strecke zieh ich meine Laufjacke aus. Wenn man in die direkte Sonne kommt wird es noch wärmer. Ich schwitze schon wieder wie wild. Beim bergab laufen merke ich eine leichte Krampfneigung, was bei dem großen Mineralverlust, den ich bisher hatte, auch nichts ungewöhnliches ist. Also beschließe ich, in den nächsten 4 Stunden jeweils vier NaCl Tabletten im stündlichen Abstand zu nehmen. Kochsalz ist das Einzige was gegen Krämpfe hilft.

Für diese 5,3 km bergab habe ich eine gute Stunde gebraucht, ich bin sehr kraftschonend und den Berg runter getrabt.

 

VP5 Neustift Dorf, 31,6km und 3105hm noch offen!

6:47 Uhr komme ich hier gut gelaunt und angenehm temperiert an. Es ist hell und es gibt ein super Frühstück. Brot, Käse, Wurst, Kuchen, alles da! Ich weiß, dass ich jetzt ordentlich essen muss, um die Speicher, für das, was da kommt,aufzufüllen. Hier bin ich mir das erste Mal sicher, dass ich diesen Lauf wuppe, sind ja immerhin noch 12 Stunden, die ich bis zum Zielschluss Zeit habe. Mit Glockenschlag 7:00 Uhr verlasse ich die Verpflegungsstelle und mache mich im Tal der Ruetz sachte bergauf. Jetzt heißt meine Devise, einigermaßen zügig mit Stockeinsatz vorwärts zu kommen, ohne mich zu verschließen. Kräfte sparend brauche ich für diese 8,9 km recht flache Strecke, anderthalb Stunden. Hier habe ich einen jungen österreichischen Ultraläufer an meiner Seite mit dem ich mich über dies und jenes austausche.

 

VP6 Volderauhof, 23,7km und 2758hm noch offen!

8:15 Uhr geht’s am Volderauhof weiter. Ich habe schon zwei Drittel der Distanz geschafft, werde für das letzte Drittel aber noch einmal genau so viel Zeit benötigen, wir für die ersten zwei Drittel. Die Damen hier am Verpflegungsstand waren zu einem Schwätzchen aufgelegt, es war sehr kurzweilig. Aber ich bin ja nicht zum quatschen in Tirol, also weiter. Zur Abwechslung geht es nach einem kurzen flachen Stück wieder steil bergauf. Gottseidank durch den Wald, im Schatten. Trampelpfade, fast senkrecht den Berg hoch, über Wurzeln, Stock und Stein. Hier bin ich wieder größtenteils alleine unterwegs. Nachdem ich zwischendurch mal wieder etwas getrocknet bin, rinnt mir der Schweiß aus allen Poren. Für diese läppischen 5,3 km brauche ich wieder über 1,5 Stunden. Was soll das nur werden? Obwohl es noch sehr früh am Tage ist, weiß ich jetzt schon, dass ich zum Mittagessen nicht oben bin!

 

VP7 Falsbesoner Nockalm, 18,4km und 2065hm noch offen!

Hier komme ich um kurz vor zehn an. Mache eine etwas größere Pause, setze den Rucksack ab, esse reichlich von den deftigen Schmankerl und schmiere Sun Blocker nach. Die Stimmung auf der Alm ist ausgelassen, einige Besucher sind da und die anwesende Bergrettung ist auch zum flachsen aufgelegt. Dieses Stück, bis zur nächsten Labestation ist 10,4 km lang. Ein Distanz, die ich in der Ebene in etwa 1 Stunde laufe. Hier und heute, auf dieser Strecke und in meinem jetzigen Zustand brauche ich fast 2,5 Stunden. Hier lerne ich Rolf kennen, der mich bis kurz vorm Ziel immer mal wieder begleiten wird, ein netter und interessanter Gesprächspartner (lieben Gruß). Außerdem rollen wir die letzten Teilnehmer des 20 Kilometer Laufs auf, die uns ihren Respekt zollen (Gruß an Jutta aus Frankfurt am Main). Überholt werden wir stetig von Läufern der 32 km Strecke, die um 9:00 Uhr in Neustift gestartet sind. 

Der Weg parallel zur Gletscherstraße an der Ruetz ist ein Rollator gerechter Wanderweg, fein geschrottet, sanft im Anstieg.

 

VP8 Mutterberg Alm, 8km und 1450hm noch offen!

Die Mutter Bergalm erreiche ich dann um 12:10 Uhr. Die Verpflegungsstation ist in der Talstation der Seilbahn aufgebaut. Der Rennarzt schaut mir tief in die Augen und lässt mich auf meine Frage: „Ob bei ihm alles okay sei?“ weiter laufen. Großartig ausgestattet. Klare Brühe mit Fettaugen drauf und Fritaten Einlage. Was kann man besseres gebrauchen, wenn man jetzt über Stunden, senkrecht den Berg hoch muss. Und eine echte Toilette, ebenerdig, ohne zusätzliche Treppen! Alle Trinkgefäße werden vor dem Verlassen der Station auch noch mal randvoll aufgefüllt.

Landschaftlich war die Mutterberg Alm eine riesige Enttäuschung. Statt saftig grüne Wiesen, hat sie etwa die Fläche von 30 Fußballfeldern, mit Asphalt überzogen. Na ja…

Das folgende Stück geht ausschließlich steil bergauf. Sehr steil. Dafür aber in der prallen Sonne. 

Überholt werden Rolf und ich regelmäßig von Läufern der 32 km Strecke. Auf meinen Hinweis an die Überholenden: „Wer überholt, muss auch einen Witz erzählen!“ bekomme ich keine oder eine dumme Antwort. Auf jeden Fall hat mir niemand einen Witz erzählt.  Schade, ich hätte so gerne gelacht! Auf diesem Teilstück treffen wir auch die Frau vom Robert. Die beiden hatte ich am Freitag schon auf dem Elfer getroffen. Robert läuft die lange Strecke und ist vor mir, seine Frau eine der kürzeren, die habe ich eingeholt. Für diese läppischen 2,8 km habe ich doch nur 1 1/4 Stunden gebraucht. Und was taucht direkt hinter dem Dresdner Ortsschild auf? Ganz genau:

 

VP9 Dresdner Hütte, 5,2km und 889hm noch offen!

Die Dresdner Hütte. Eine Alpenvereinshütte, die ich sonst nur aus dem Winter kenne. Auf der Terrasse ist die Labestation aufgebaut. Ich glaube, alles was man braucht war da, so genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Von der kleinen Gruppe am VP mache ich mich wieder als erster auf die Strecke. Von der Terrasse auf den Forstweg, passiere ich ein Absperrband und geh weiter auf dem Forstweg gerade aus. Bis ich zurückgepfiffen werde. Das Absperrband war natürlich dafür da, dass man nicht geradeaus auf dem Forstweg weiter geht oder läuft sondern links in den Bergpfad abbiegt. Aber die Wahrnehmung lässt halt kontinuierlich nach. Also reihe ich mich wieder hinten ein und bin wieder bei meiner alten Laufbegleitung Rolf. Mittlerweile bin ich auf über 2500 m ü NHN (für Austria 2500 m ü A)(wer an dem Unterschied interessiert ist, möge es bitte googeln). Also kommt neben der absolvierten Strecke, den gesammelten Höhenmetern, der Entkräftung und den Schmerzen noch ein weiteres Problem hinzu. Die Luft wird immer dünner, es ist immer weniger Sauerstoff in der Atemluft, was die Leistungsfähigkeit zusätzlich beeinflusst. Und zwar nicht zum positiven. Apropos Schmerzen, darüber habe ich ja noch gar nicht geredet. Gab’s natürlich auch, waren da. Aber, nicht so viel und so stark wie möglicherweise vermutet. Irgendwann nach der Hälfte der Zeit, tun mir die Füße von den harten Trailrunningschuhen doch schon weh. Richtig weh! Und dann ist da noch der Ellenbogen. Von dem stark unterstützen Stockeinsatz habe ich Schmerzen im linken Ellenbogen. Ich vermute, dass sich Tennisarm so anfühlt. Aber, ich gehe ganz nach der alten Ultraläufer Taktik vor: 

„Was machst du, wenn nichts mehr geht?“

„Weiterlaufen!“

„Und wenn gar nichts mehr geht?“

„Weiterlaufen!“

„Und wenn überhaupt nichts mehr geht?“

„Weiterlaufen!“

Nur so kommt man bei solchen Veranstaltungen ins Ziel!

Im Ziel bin ich leider noch nicht, aber nach weiteren 1 3/4 Stunden wenigstens 3,7 km weiter und auf 2900 m ü NHN erst mal angekommen.

 

VP10 Eisgrat Bergstation, 1,5km und 257hm noch offen!

15:07 Uhr. Ich schaff das! Keine Frage!

Getränke fülle ich nicht mehr auf. Gewicht einsparen, das was ich dabei habe, reicht! Ich bin am Fuße des Gletschers angekommen. In der Natur des Gletschers liegt es, dass es nun nicht mehr ganz so steil bergan geht. Aber dafür nimmt mit der zunehmenden Höhe, der Sauerstoffanteil in der Atemluft weiter ab. Ein weiteres nicht unwesentliches Detail ist, dass ab dem Eisgrad die Strecke über den Gletscher verläuft, d.h. durch Schnee beziehungsweise Schneesulz. Bei jedem Schritt vorwärts rutsche ich wieder eine halbe Fußlänge zurück. Die Stöcke sind keine große Hilfe. Da ich keine Teller montiert habe, kann ich mich nicht richtig abdrücken. Aber das ist ja eh nicht möglich, weil dann immer der Ellenbogen schmerzt. Die Stöcke sinken sofort 1/2 m tief in den Schneesulz. Die Strecke über den Gletscher ist mit kleinen Fähnchen markiert. Meine Taktik: In ganz kleinen Schritten von einem Fähnchen zum nächsten, ca 50m. Dort stehen bleiben, atmen, nach unten gucken, atmen, nach oben gucken, atmen, weiter gehen bis zum nächsten Fähnchen, atmen, repeat …

Für die letzten 1,5 km brauche ich dann noch mal eine Dreiviertelstunde.

Ziel! Jochdohle, Stubaier Gletscher! Endlich, 0km und 0hm mehr offen! Nach 68 km und 5356 Höhenmetern im Ziel auf 3150 m ü NHN, nach 15 Stunden und 55 Minuten angekommen!

Ich bin #TopOfTyrol !!!

Großartig!!!

Oben im Ziel, war großes Kino aufgebaut. Zielbogen, Lautsprecher Anlage, Zielsprecher der uns begrüßt, Rettungsdienst und Helfer. Gottseidank war es nicht ganz so kalt und windig, so dass auch ich, nass wie ich war, den Zieleinlauf genießen konnte. Selbst Fotos waren noch möglich. Frisch angezogen gab es noch einen leckeren Kaiserschmarrn mit Apfelmus, dazu eine Orangenlimonade.

Insgesamt bin ich dann in drei unterschiedlichen Seilbahnen Sektion für Sektion abwärts gefahren, bis ich in der Talstation Mutter war. Dort habe ich meinen vorher abgegebenen aber nicht benötigten Drop Bag entgegengenommen. Von der Talstation Mutterberg bin gestern mit dem Bus noch einmal eine Dreiviertelstunde bis zum Talort Neustift gefahren. Da werden einem erst die Dimensionen bewusst, die man gelaufen ist.

Von den 206 Startern auf der Langdistanz sind 171 ins Ziel gekommen. 35 (17%) haben aufgegeben oder sind vom Zeitlimit überrannt worden. Unter allen Läufern bin ich als 132. M+W ins Ziel gekommen. Aber immerhin mehr als 3 Stunden vor meinem großen Angstgegner, dem Zeitlimit!

Fazit: Großartiges Erlebnis, aber Hammer anstrengend. Ob ich es noch mal mache? Eher nicht, ich hatte so viel Glück mit dem Wetter, ob das noch einmal klappt? Da weiß ich nicht, ob ich das Schicksal noch einmal herausfordern soll!

 

Ein ganz großes Dankeschön an die Menschen, die die Veranstaltung professionell vorbereitet und durchgeführt haben. Ganz besonders aber auch an die ganzen ehrenamtlichen Helfer, ohne die so eine Veranstaltung überhaupt möglich wäre! Danke!

 

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Text und Bilder: der Stulle

 

der STULLE

Kommentare

Submitted byAndreas Leffler on So., 11.07.2021 - 01:18

Ein kurzweiliger Aufsatz zu Deinem schönsten Ferienerlebnis, welcher mir viel Freude bereitet hat. Respekt und herzlichen Glückwunsch zum Erreichten.