Im Juli fragte unsere nigerianische Lauffreundin Dayo, wer Lust hätte, in Äquatorialguinea einen Marathon zu laufen. Sie hätte vom dortigen Gesundheitsminister die Anfrage erhalten, in der Hauptstadt Malabo einen zu organisieren. Außerdem könnte man das sinnvoll mit dem Marathon in Douala, der Wirtschaftsmetropole Kameruns verbinden. Diese Stadt liegt nur 20 Flugminuten auf der anderen Seite des Golfs von Guinea entfernt.
Da nicht klar war, ob das nicht ein einmaliger Versuch bleibt, sagten wir zu. Weiterhin ist es in dieser Region der Erde hilfreich, wenn man einen Insider (nämlich Dayo) im Team hat, der weiß, wie man an ein Einladungsschreiben kommt, welches Hotel strategisch günstig liegt, ob es Direktflüge gibt oder ob man via Addis Abeba in Ostafrika fliegen muss – und wann man diese Flüge buchen kann.
Nun galt es die sinnvollste Reihenfolge der Vorbereitung zu finden: zuerst stornierbare Hotels buchen, dann für die Marathonläufe anmelden. Mit diesen Infos die Veranstalter bitten, ein Einladungsschreiben zu verfassen. Dann die Flüge buchen und mit all diesen Daten (und noch einigen mehr) kann man endlich das zweite Visum beantragen. Wenn das vorliegt, kann das erste beantragt werden, weil die wissen wollen, ob man in das nächste Reiseland überhaupt reindarf.
Klingt kompliziert? Ist es auch, vor allem, wenn die IT-Systeme für den Online-Visumsantrag nur ruckelig laufen. Und die Anträge sind nicht ganz billig.
Das nicht (mehr) gültige Einreisevisum hätte unserer Veranstalterin Dayo übrigens fast den Spaß verdorben, weil man ihr sagte, dass das Einmalvisum ausreiche – nur wollte das die Fluggesellschaft nicht glauben, als sie mit unserer Gruppe von Douala nach Malabo fliegen wollte. Somit hat sie 2 weitere Tage in Kamerun verbracht und musste alle erdenklichen Hebel in Bewegung setzen, um einen Tag vor der Startnummernausgabe und dem finalen Vorbereitungstag ohne Visum einzureisen. Während dieser Zeit machten wir zu 6 (3 Amerikaner, Clubmitglied Dieter aus Bochum, Doris und ich) Inselausflüge. Diese hatte Dayo für uns organisiert und waren ganz einmalig. Am ersten Tag besichtigten wir die Hauptstadt, dieses ölreichen Lands. Der Präsident ist seit 45 Jahren im Amt und seinen Nachfolger soll er schon ausgewählt haben. In einem tollen Park, in dem es weder Unkraut noch Laub gab, waren wir die einzigen Gäste. Nachmittags sahen wir in einem weiteren Park, in dem der Präsident sein Wochenendhaus hat, den Nationalbaum, der auch auf der Staatsflagge abgebildet ist. Am zweiten Tag fuhren wir an einen Strand, von dem wir zu Fuß eine Art Wattwanderung machten und 2 Wasserfälle (im zweiten konnten man baden, was bei 30°C sehr erfrischend war) besuchten. Der Rückweg musste dann sehr schnell angetreten werden, weil das Wasser stieg. Auch so mussten wir durch tw. hüfthohes Meerwasser waten. An einer Stelle führte eine Spur aus dem Wasser in den Urwald. Der Größe nach tippte ich auf ein Quad, doch der Tourguide klärte auf, dass es die Spur einer Wasserschildkröte ist, die zur Eiablage an Land gekommen war.
Abends war Dayo im Hotel und wir brauchten nicht weiter an Plan B zu arbeiten, den Marathon allein ohne sie durchzuführen. (Dazu hatte ich bereits mit dem Mitreisenden Kevin Brosi Kontakt aufgenommen, der seinerseits Präsident der Marathonglobetrotters ist – und ebenfalls Erfahrung in der Ausrichtung von Läufen hat.)
Außerdem stießen unser saarländisches Clubmitglied Thomas, Klaus und Philippe zu unserer Truppe. Am nächsten Morgen liefen wir die Strecke (eine von 4 Runden) mit der Veranstalterin ab und stellten eine Überlänge fest. Wir beschlossen, das nicht mehr zu ändern, weil der Streckenplan bereits ausgegeben war. Damit aber kein Läufer anhand seiner eigenen GPS-Messung vorzeitig auf der Wendepunktstrecke umdreht, war es entscheidend, dass alle angeworbenen Protokollführer bis zum Ende an den Kontrollpunkten die passierenden Läufer aufschrieben. Nach meinen Erlebnissen in der Vorwoche in Kamerun wünschte ich der Veranstalterin stumm „Viel Glück“, hatte aber wenig Hoffnung. Genauso wenig rechnete ich damit, dass die Ärzte um 4:00 Uhr morgens am Start wären, um bei den Marathonläufern den Gesundheitscheck durchzuführen. Trotzdem wurde das Hotelfrühstück zu 3:00 Uhr geordert. Nach dem Testlauf begann die Startnummernausgabe im Hotel. Ca. 25% der gemeldeten Marathonis holten nicht ab, trotzdem sollten es insgesamt 28 Starter werden. Dazu noch Halbmarathon, 5- und 10km-Läufer. Es gab ca. 10 laminierte DIN A3-Richtungsweiser, mit Pfeilen in den Farben der verschiedenen Strecken. Die Farben waren die Nationalfarben rot, grün und blau. Dazu hellgrün für Marathon. Auf meine Frage, wie ein Farbenblinder rot, hellgrün und grün unterscheiden könne, bekam die gute Dayo einen mittleren Zusammenbruch und ich schlug vor, die Distanzen noch mal mit wasserfesten Edding auf jedes Schild zu schreiben. (Diese Maßnahme rettete am nächsten Morgen die Helfer, weil im Dunkeln alle 4 Pfeilfarben gleich aussahen!) Abends orderten wir uns Nudeln im Hotel und gingen früh ins Bett. Das fiel leicht, denn um 18:30 Uhr ist es sowieso stockdunkel und das Hotel-WLAN war so instabil, dass wir für das 30-minütige Schleswig-Holstein-Magazin aus der ARD-Mediathek tw. 1 Stunde brauchten. Um 3 Uhr gings zum Frühstück, was außer dem Kaffee vollständig aufgebaut war. Nach dem Frühstück leuchteten wir uns den Weg zum Start mit unseren Stirnlampen, da nur die Straßenlampen an der Promenade über Nacht eingeschaltet blieben. Die Querstraßen, die tw. auch Laufstrecke waren, dagegen unbeleuchtet. Wir kamen um kurz nach 4 an …. und die Ärzte waren schon da und checkten die ersten Läufer. Blutdruck messen, Lunge abhorchen, Blick in Augen und Mund und Gewichtskontrolle. Ich war seeeehr überrascht. Kurze Zeit später erschien eine Busladung Helfer und Streckenposten, die die Strecke markierten, Verpflegung zu den 6 Verpflegungsstellen brachten und sich an den Kontrollpunkten einrichteten. Kurz gesagt: die Planung von Dayo ging zu 100% in Erfüllung. Die Streckenposten blieben bis zum Laufende nach 7 Stunden, die Wasserflaschen und auch Bananen reichten bis zum Schluss. Die Straßen waren fast komplett autofrei und es gab sogar Energiedrinks. Es war sogar so viel Wasser da, dass ich mit zunehmender Temperatur an jeder zweiten Verpflegungsstelle mit einer Flasche geduscht habe. Nach meinem Zieleinlauf konnte ich T-Shirt und Socken auswringen. Die Strecke hatte die Form von einem großen E mit einem zusätzlichen Querstrich, so dass sich die Läufer auf den 4 Wendenpunktteilstrecken immer wieder begegneten bzw. auch überrundeten. Als später noch die kürzeren Distanzen auf die Strecke kamen, wurde es noch kurzweiliger. Neben der Uferstraße lagen 3 „Fußball“-Felder und die Spieler bzw. Zuschauer schauten irritiert, was wir dort den ganzen Vormittag treiben. Von den 28 gestarteten Marathonis kamen 18 ins Ziel – wobei wir nur einen internationalen Abbrecher hatten, die restlichen waren Einheimische. Spannend waren die ersten beiden Runden mit Marc, einem 33-jährigen Deutschen, der seit 3 Jahren mit dem Fahrrad durch die Welt fährt. Er hatte von dem Lauf gehört und sich relativ spontan entschieden, mitzulaufen und hat gefinisht!
Der jeweilige Zieleinlauf wurde durch ein aufgespanntes Banner angekündigt, die Zeit gestoppt und wir bekamen sehr schöne Holzmedaillen. Nach dem ich mich unter einem Tribünendach im Schatten abgekühlt und die nassen Klamotten ausgezogen hatte, kam Doris schon angerannt und ich begleitete sie auf ihrer letzten halben Runde. Bei der Gelegenheit bedankte und verabschiedete ich mich noch einmal bei allen Helfern und Polizisten, die allesamt für das gute Gelingen dieser Laufveranstaltung gesorgt hatten. Darüber freuten sie sich, denn ich sagte es auf Spanisch, da Äquatorialguinea das einzige afrikanische Land ist, welches früher eine spanische Kolonie war. Zurück im Hotel duschten wir ausgiebig, aßen unsere vorbereiteten Brote und Nudelreste und beglückwünschten Dayo, die inzwischen auch von der Strecke zurück war, zu dieser sehr gelungenen Laufveranstaltung. Abends ging es schon zum Flughafen. Der Rezeptionist musste übrigens mindestens 20 Taxis anhalten, bis endlich einer bereit war, uns zum Flughafen zu fahren. Am Flughafen selbst stiegen 11 Crewmitglieder (es waren die gleichen, mit der Thomas, Klaus und Philippe am Freitag aus Frankfurt angekommen waren) und 15 Passagiere ein. Nach einer Stunde landeten wir in Lagos, wo noch einige Dutzend Fluggäste dazukamen und flogen nach Frankfurt. Dort teilte sich unsere Laufgruppe in die verschiedenen Richtungen (USA, Frankreich, Saarland, Frankfurt und Hamburg).
Das war ein positiver Abschluss dieser Reisekombination, denn der erste Teil in Kamerun war ganz anders. Chaos auf den Straßen, nicht vorhandene, zugeparkte oder gesperrte Bürgersteige zwangen uns auf die Straße. Die mussten wir uns mit parkenden und fahrenden Autos, sowie hunderten von Mofataxis teilen; diese Taxis haben einen langgezogenen Sonnenschirm über der Sitzfläche. Der Schirm ist breiter als das Taxi, so dass man als Fußgänger aufpassen muss, dass die Schirmarme nicht die Augen treffen oder man skalpiert wird. Jeder Gang war ein Abenteuer, bei dem man maximal aufmerksam sein musste. Da wir Donnerstag angekommen waren, hatte der Veranstalter (oder zumindest derjenige, der uns mitgeteilte hatte, dass unsere Anmeldungen angekommen wären – und dass wir 7 Stunden Zeit für den Marathon hätten) uns zur Pressekonferenz eingeladen. Dort stellten sie die Veranstalter und Hauptsponsoren vor und mussten sich einige kritische Fragen von den Journalisten gefallen lassen. Für uns Läufer hatte es den Vorteil, dass wir erfuhren, wo wir zur finalen Anmeldung hingehen sollten. Das Büro der Veranstaltungsfirma war 45 Gehminuten entfernt und wir fanden es mit viel Glück. Wir mussten erfahren, dass wir nicht auf der Meldeliste standen und die Meldefrist letzte Woche geendet hatte. Unser Kontaktmann veranlasste aber, dass wir nachmelden konnten. Die Startnummern sollte es aber erst am Sonntagmorgen vor dem Lauf geben. Schau mer ma, wie sie das hinkriegen wollen? Am Samstag fand der Halbmarathon statt und endete am gleichen Ort, wo wir auch ankommen sollten. Wir gingen also mal hin, denn unser Hotel war näher am Ziel, denn am Start und schauten uns das mal an. Dort saßen die Zeitnehmer aus Tunesien (die man 1 Woche vorher engagiert hatte) und hatten ihr raceresult-Zeitmess-Equipment aufgebaut. Ich sprach mit ihnen und erfuhr, dass sie nur für 5 Stunden für den Marathon gebucht waren. Soso! Nach der abendlichen Pizza trafen wir die Zeitnehmer in unserem Hotel wieder und unterhielten uns ein bisschen, z.B. über Marathonsammeln und –reisen. Sie schienen etwas „überrascht“, vor allem als ich ihnen meinen Laufbericht über den Karthago-Marathon 2016 im internet zeigte. Diesen Lauf betreuen sie auch und erkannten natürlich sofort die Fotos von der Strecke und aus der Stadt. Am nächsten Morgen fuhren wir im Taxi zum Start und nachdem der Minister nach seiner Ansprache den Startschuss gab, rannten alle los. Wir ließen sie laufen … und hofften das Beste. Die Strecke führte zum Zielbereich, den man nach ca. 10 km erreicht hatte und dann führte die erste Runde noch weitere 20 km durch die Stadt. Bei ungefähr Kilometer 20 hatte ich die 2 letzten Läufer, die ich noch vor mir sah vollends aus den Augen verloren. Denn die Stadt (Straßen, Bürgersteige) war voll mit Menschen, die ihrem (sonntäglichen) Tagesgeschäft nachgingen. An einer großen Kreuzung wäre ich in die falsche Richtung weitergelaufen, hätte nicht ein entgegenkommender Mopedfahrer gerufen, dass ich abbiegen muss. Glück gehabt. Aber wo keine Streckenposten sind, gibt’s auch kein Wasser mehr. So musste ich bei schwülen 30°C am Straßenrand etwas kaufen. Es gab zwar Läden, die aber nicht wechseln konnten oder wollten. Auf jeden Fall konnte ich nur einmal kaufen. Diese erste große Runde endete nach 30 km wieder oberhalb des Ziels und ich wusste, dass eine weitere kürze Runde zu laufen wäre, die dann im Ziel endet. Nun kamen mir aber Läufer entgegen, was nicht der Streckenführung entsprach. Ich lief bis zur nächsten Kreuzung, wo ebenfalls kein Streckenposten oder Hinweisschild stand. Ein einheimischer Läufer kam nach mir – als er ebenfalls kein Schild sah, drehte er um und lief auf bekannter Straße einfach zurück. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Nach weiteren 5 Minuten Warten kam Dieter, begleitet von einem Krankenwagen. Er meinte, die sind seit seinem ersten Boxenstopp an seiner Seite und er hätte seine Cola in deren Wagen. Sie zeigten den Weg. An der nächsten Ecke warteten eine Läuferin und ein Läufer aus Kamerun, die ebenfalls nicht wussten wohin. Die waren sehr aufgebracht und beschimpften die Sanitäter, was für ein „Sch..ß“lauf das wäre. Ich konnte die Dame sogar verstehen, denn bis zum 10. Platz gab es für Männer und Frauen Geldpreise. Den hatte sie durchs „Verlorengehen“ wohl verpasst. Die beiden liefen anfangs noch mit, waren aber irgendwann hinter uns verschwunden. Ich klemmte mich an Dieter, denn die Ambulanz kannte den Weg. Teilweise tauchten auch wieder Streckenposten auf – oder gingen auf ihren Platz, wenn sie unsere Kolonne aus einem Polizeiauto (das hatte sich inzwischen auch zu uns gesellt), dem Krankenwagen und uns zwei weißen Läufern sahen. Wasser gabs aber weiterhin nicht. Das mussten wir uns von den Sanis reichen lassen. Die Polizisten verließen uns, als es Richtung Hafen ging und nur noch einmal nach links abgebogen werden musste, um nach 2-3 km geradeaus ins Ziel zu kommen. 100 Meter vor dem Ziel standen wieder Posten, die uns für letzten Meter Wasserflaschen reichten. Da ich mir bereits ab Kilometer 20 die Frage stellte, wie die Läufer nach mir, die Strecke finden sollten, war ich nicht überrascht, dass Doris bereits im Ziel saß. Später erzählte sie, dass sie bereits bei km 10 keine Streckenposten mehr hatte und dann mit den 10km-Walkern Richtung Ziel „gespült“ wurde. Sie lief dann nicht ins Ziel, sondern mit dem Amerikaner Kevin weiter Richtung Hafen. Nur waren an der Straße keine Lebensmittelgeschäfte oder Restaurants, so dass keine Eigenverpflegung gekauft werden konnte. So haben die beiden nach 16 km entschieden abzubrechen. Kevin ging ins Hotel und Doris wartete im Ziel. Das war Dieters und mein Glück, denn die Zeitnehmer wollten nach 4:30 Stunden anfangen, das Zeitmesssystem abzubauen. Doris intervenierte, da wir noch unterwegs waren und die Wahrscheinlichkeit, dass wir finishen sehr groß wäre. So warteten sie also noch auf unseren Zieleinlauf, taten so als hätten sie freudig auf uns gewartet und bauten nach uns sofort ab. Wir hatten gerade noch Zeit, unsere Zielzeiten abzugleichen. Na ja, die wollten abends noch zurück nach Tunesien fliegen. Wir verbrachten noch 2 ereignislose Tage in Kamerun, außer dass es noch ein paar mal ziemlich heftig regnete, bis wir Mittwoch mit einer kleinen Maschine von Afrijet nach Malabo flogen. Ohne die Dayo, aber die Geschichte kennt ihr ja schon. Das war die Abenteuergeschichte aus Kamerun und Äquatorialguinea mit Doris‘ 98. und meinen Länderpunkten 101 und 102.
PS: nach dem „Desaster“ aus Kamerun suchten wir direkt im Hotel angekommen einen Ersatzlauf, für Doris‘ Nummer 99. Haben wir auch gefunden und geht nächste Woche los.
PPS: in Kamerun kann man mit SkyGo die 2. Bundesliga live schauen, in Äquatorialguinea erscheint dagegen die Fehlermeldung, dass die Inhalte nur in Deutschland und Österreich zu empfangen sind. Wo liegt eigentlich Kamerun?
PPPS: in Malabo blockierten fast alle ARD-Regionalsender (BR, NDR, RBB, MDR, SDR, SR) die Samstagsspiele der 3. Liga per Geoblocking. Im WDR allerdings konnten wir das Spiel von RWE auf dem Tablet schauen. Das gleiche Spiel wurde vom RBB geblockt. Fazit: never give up.
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