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Am Tag vor Heilig Abend komme ich von der Arbeit nach Hause. Mein Lebensgefährte hat Urlaub und wollte eigentlich seine Steuererklärung machen. Doch statt dessen surft er durch das Internet und berichtet mir vom Berliner Brocken-Marathon.
Von den zwei Varianten würde für uns nur die flachere um-den-Brocken-herum-Strecke in Frage kommen. Das Wetter soll ideal werden und den letzten Marathon haben unsere Füße, Beine und Gelenke gut weggesteckt. Also melden wir uns an und ich nehme mir den 28. Dezember von der Arbeit frei.

Am Sonntagabend vor dem Lauf diskutieren wir über Sachen, die wir mitnehmen und die wir zu Hause lassen. Die Organisation ist immer schwer, wenn man irgendwo zum ersten Mal startet. Außerdem wird dies die kleinste Marathonveranstaltung sein, an der wir bislang teilgenommen haben. Ca. 30 Teilnehmer, darunter ein paar Halbmarathonis, und zwei oder drei Leute im Hintergrund. Startnummerausgabe? Sanitäre Anlagen? Kleiderbeutelabgabe? Rundenmessung? Wissen wir nicht. Trinkrucksack mitnehmen? Sonnenbrille mitnehmen?
Wir finden uns damit ab, zu wenig zu wissen, um perfekt vorbereitet zu sein, und entscheiden uns für eine minimale Ausrüstung.

Am Montagmorgen fahren wir zum Volkspark und finden den Treffpunkt am Spielplatz problemlos. Ein paar Läufer sind schon da und es werden immer mehr. Die Sonne kriecht gerade über die Dächer der hohen Plattenbauten und taucht alles in ein weiches Licht. Dann fährt ein Auto vor. Viele Hände helfen, es auszuladen. Getränke, Knabbereien und eine Rolle Toilettenpapier werden auf zwei der drei Holzbänke ausgelegt. Das Frühstück ist also angerichtet und die Frage nach den sanitären Anlagen hat sich geklärt: Wer unbedingt muss, geht ins Gebüsch.
Ein Startbeutel vom BMW Berlin Marathon wird zum Mülleimer umfunktioniert und schnell ist alles organisatorische geklärt. Sigrid Eichner nimmt acht Euro pro Teilnehmer in bar entgegen, die Startnummern werden in alphabetischer Reihenfolge vergeben, gedruckte Startnummern gibt es jedoch nicht. Wir sollen einfach nach jeder Runde, wenn wir den Spielplatz passieren, laut und deutlich unsere Nummer sagen.

Nach dem Gruppenfoto erfolgt der Start und für mich eine Reise in die Welt der Höhenkilometer. Ca. 30 Meter pro Runde. Jede Runde ist 2,11km lang. Es werden also 20 Runden gelaufen. Also 600 Höhenkilometer insgesamt.
Doch die steilen Auf- und Abstiege, die engen Kurven, der aufgerissene Boden können mir heute nichts anhaben. Ich laufe ruhig und gleichmäßig, genieße die Sonne, die milden Temperaturen, den mir unbekannten Volkspark und den Blick durch die Bäume auf das umliegenden Berlin. "Ist das nicht ein tolles Hobby!" ruft mir ein Läufer im "Niemand hat die Absicht 100 Meilen zu laufen" T-Shirt entgegen. Und ein Jogger im Park klatscht in die Hände, als ich vorbeilaufe. Ja, es ist ein tolles Hobby und ein guter Lauf. Durch die vielen kleinen Runden sieht man sich immer wieder. Und auch wenn ich die stillen Läufe in der Natur ohne Publikum und Lärm besonders gerne habe, so freue ich mich doch sehr, meinem Lebensgefährten ein Küsschen zu geben, jedes mal, wenn wir uns auf der Strecke begegnen. "So viel besser als Steuererklärung", sagt er. "So viel besser, als heute zu arbeiten", sage ich.
Für Verliebte ist dieser Lauf perfekt.

Als ich mich auf die zweitletzte Runde begeben möchte, heißt es von Seiten der Rundenmessung ich müsse noch drei laufen. Also vergleichen wir die händisch aufgenommen Runden mit der GPS Messung meines Handys und die manuelle Angabe wird korrigiert. Ich bin froh, dass Smartphone mitgenommen zu haben.
Nach 20 Runden komme ich im Ziel an. Gerade werden die Medaillen gefunden und ich bekomme nicht nur eine um den Hals gehängt, sondern werde danach auch noch in den Arm genommen und jeder der umstehenden Läufer, ob nun fertig oder nur am pausieren, drückt mir die Hand. Ein tolles Gefühl.

Als dann mein Freund ins Ziel läuft, darf ich ihm sogar die Medaille um den Hals hängen. Alle lachen, nach dem er seine Zeit mit 4 Stunden und 129 Minuten angegeben bekommt. Rechnen fällt uns in dem Moment schwer. Aber 4 Stunden und ... klingt doch super, vor allem, wenn man zwischendurch gestürzt ist und die Knie und Handflächen aufgeschürft sind und man trotzdem Runde für Runde mit der unebenen Strecke zu kämpfen hat.

Die Sonne geht langsam unter.
Zufrieden mit der sportlichen Leistung des heutigen Tages wanken wir Richtung S-Bahn Haltestelle, winken Sigrid, die immer noch läuft, zum Abschied und versprechen uns, dass wir diesen Lauf noch mal machen werden.
Aber erst im nächsten Jahr. Guten Rutsch!

Jana K.