Im Vorfeld las ich im Internet einige Berichte von Läufern, die ihre Erlebnisse vom Moskau Marathon schilderten. Oftmals fanden sich diese schlecht zurecht, wegen fehlender Sprachkenntnisse.
Als ich dann wenige Tage vor dem Abflug meine Mutter ganz überraschend ins Krankenhaus bringen musste und Alexander, der mich schon auf einigen Laufreisen begleitet hat, am Abend vor der Reise aus geschäftlichen Gründen absagen musste, stand diese Marathonreise ernsthaft auf der Kippe. Waren das Signale, die es zu deuten galt und ich daher von dieser Tour Abstand nehmen sollte? Doch ich suchte diese Herausforderung und flog allein.

Direktflug mit Germanwings von Stuttgart nach Moskau Vnukovo. Der Flug geht pünktlich und die Passkontrolle geht zügig ohne Warteschlange. Nun bin ich da, in Russland. Wie geht es weiter?
Am kleinen Infoschalter kann man mir keine Auskunft geben, aber ich entdecke einen Wegweiser in englischer Sprache “Train to Moscow”. Ich folge dem Wegweiser und tatsächlich nach knapp 200 Meter Fußweg fährt hier der Airportexpress in die Moskauer City.
Der Zug ist bequem und komfortabel, mit Bildschirmen an der Decke. Ich frage eine Junge Dame, ob Sie mir auf meinem Stadtplan zeigen kann, wo wir ankommen. Es ist der Bahnhof Kievskij, den man in 35 Minuten nonstop erreicht.
Von hier geht es weiter mit der Metro, nur zwei Stationen mit der Ringlinie 5, dann noch eine bis Dynamo mit der Linie 2. Von dort aus noch zehn Minunten Fußweg und ich bin im Hotel. Die erste Hürde ist genommen, problemlos.

Das Historical Hotel Sovietsky, 1952 im stalinistischen Monumentalstil erbaut, erfüllt meine Erwartungen.
Adenauer, Breschnew oder Arnold Schwarzenegger haben hier schon genächtigt. Da das Hotel nicht ganz zentral liegt, sind die Zimmer erschwinglich.
Ein Porsche Cayenne in extra large steht vor dem Hotel. Man sieht in Moskau häuftig diese Stretchlimousinen, die gerne von Hochzeitsgesellschaften gemietet werden. Ich sehe aber auch andere teure Wagen, wie z.B. diesen Maserati. 
Das reichhaltige Frühstücksbuffet wird untermalt von Musik am Flügel und die Flachbildschirme an den Wänden sind stilvoll in Bilderrahmen gefasst.
Das Hotel liegt an der Leningradskij Prospekt, einer extrem breiten Strasse mit zwei Mal vier Fahrspuren in beide Richtungen. Werbetafeln überall. Media Markt, Ikea, alles fast wie bei uns. Auch Mc Donalds gibt es in Moskau.
Ich gehe in die andere Richtung, will sehen, ob dieser Weg länger ist, als zur anderen Metrostation. Moskau gibt sich westlich. Auch westliche Stars geben hier Konzerte, wie Beyoncé oder Julio Iglesias.

Ich fahre in wenigen Minuten ins Zentrum, schlendere durch die Fußgängerzone Arbat. Es macht Spaß bei herrlichem Sommerwetter hier zu flanieren.
Man sieht hier in Moskau auffallend viele junge Frauen, sehr schlank und meist schick gekleidet, wie Models, wobei kurze Röcke gern getragen werden.
Ich gehe weiter und habe von der Borodinskiy Brücke herrliche Ausblicke in alle Richtungen, z.B auf das weiße Haus, den Sitz der Regierung oder die Straße hinauf auf das Außenministerium, ein Hochhaus im Zuckerbäckerstil. 
Hinter der Brücke liegt der Bahnhof Kievskij und direkt gegenüber ein großer Einkaufspalast mit den weltweit bekannten Geschäften.
Wirkt alles ziemlich neu und sehr gepflegt. Man muss lange suchen, um weltweit Vergleichbares zu finden.
Etwas weiter die Strasse hinauf werden Hochhäuser mit Glasfronten hochgezogen. Irgendwie passt dies nicht so richtig in die Szenerie.

Den folgenden Tag habe ich für einen Rundgang zu den Sehenswürdigkeiten eingeplant. Ich beginne am Neujungfrauenkloster. Dieses 1524 gegründete Kloster ist das größte Moskaus. Schon von weitem erkennt man den 72 m hohen Glockenturm.
Die Kathedrale der Muttergottes von Smolensk trägt fünf goldene Kuppeln, ein starker Kontrast zu den schlichten weißen Mauern.
Anschließend laufe ich durch den großen Luschniki Sportkomplex mit dem Zentralstadion.
Auf der anderen Straßenseite ist die Moskwa erreicht. Es ist eine Oase der Ruhe an diesem Vormittag. Nur gelegentlich sieht man ein paar Leute, denen es aber augenscheinlich sehr gut geht.
Auf der anderen Seite erhebt sich auf den Sperlingsbergen der Mitte des vorigen Jahrhunderts errichtete mächtige Hauptbau der Lomonossow-Universität. Ganz deutlich ist auch eine Skisprungschanze zu sehen. Beides weckt mein Interesse.
Über eine Brücke gelange ich auf die andere Seite.
Ich wähle den Weg nach oben, er führt sicherlich zum gewünschten Ziel. Die Sonne bringt mich schon zum schwitzen, aber der schön angelegte Weg durch den Wald bringt eine willkommene Abkühlung.
Dann sehe ich schon die Sprungschanze und die Aussichtplattform der Sperlingsberge, früher Leninberge, ist erreicht. Mehrere Hochzeitsgesellschaften haben sich zum Fotosshooting hier her gesellt, andere genießen die Aussicht auf Moskau.
In unserem Rücken die Lomonossow-Universität im Zuckerbäckerstil der Stalinzeit.

Neben der Sprungschanze ist der Sessellift in Betrieb, der sonst die Springer nach oben bringt. Hätte ich also einfacher haben können, aber dafür gönne ich mir eine Fahrt hinunter. Es geht weiter entlang der Moskwa.
Jogger und Läufer nutzen diese flache Strecke für eine Trainingseinheit, vielleicht für den Marathon am Sonntag. Andere mieten sich hier Fahrräder oder Inlineskates.
Irgendwann muss bald der Gorki-Park kommen. Doch neben dem Fußweg entlang des Ufers ist nur die eintönige Straße. Ein Wald zieht sich den Berg hinauf. An einer Brücke gehe ich hoch. Dort oben lande ich fast im Urwald. Kaum vernünftige Wege, fast nur Trampelpfade.
Ich schlängle mich hinunter zum Ufer, als ich an einem kleinen Tümpel vorbei komme. Ältere Leute baden und sonnen sich hier.
Dann, nach der nächsten Brücke, beginnt er dann, der Gorki-Park. 80 Rubel (1,80 €) Eintritt wird hier verlangt. Mal seh’n, was mich erwartet. Der Ohrwurm der Scorpions "I follow the Moskwa down to Gorki Park listening to the wind of change” geht mir durch den Kopf.
Kulturpark  wird dieser Park auch genannt. Einen Vergnügungspark, fast Rummelplatz mit Schiessbuden, Kettenkarussell, Achterbahnen und anderen Fahrgeschäften hatte ich aber nicht erwartet, ebenso wenig eine Bier Bank.

Ich gehe wieder zum Moskwa Ufer, wo nach der Brücke Bilder zum Verkauf angeboten werden.
Auf der Moskwa fällt ein überdimensionales Kunstwerk ins Auge, das 94,5 m hohe Monument Peters des Grossen, wie er auf einem viel zu klein geratenen Schiff steht. Man sagt, dass die Skulptur eigentlich Christoph Columbus darstellt. Nur der Kopf sei von Peter dem Grossen. 
Über einen Brücke gelangt man direkt zur Erlöser-Kathedrale, die an den Sieg Russlands über Napoleon erinnern soll. Eine kleine Grünanlage ist angeschlossen.
Ich bin nun schon fast im Zentrum Moskaus. Man kann schon die imposanten Gebäude des Kreml erkennen. Eine gute Sicht darauf hat man von der Bolshoy Kamenni Brücke.
Entlang der westlichen Kremlmauer erstreckt sich der Alexandergarten, eine kleine Oase im Großstadttrubel. Am Denkmal des Unbekannten Soldaten komme ich gerade rechtzeitig zum Wachwechsel.
Auf der gegenüberliegenden Seite gibt es einige Wasserspiele.
Über eine kleine Brücke gelangt man auf den Kremlplatz. Kreml kommt aus dem Griechischen und bedeutet Festung, Burg.
Das Ensemble des Kathedralenplatzes mit seinen 50 Kuppeln liegt an der höchsten Stelle.
Mit 42 m Höhe ist die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale, deren Hauptkuppel von vier kleineren Kuppeln umgeben ist, eine der größten Russlands.
Gegenüber die Mariä-Verkündigungs-Kathedrale, die Haus- und Lieblingskirche der Zaren mit ihren 9 Kuppeln. Auch ein kleiner Park wurde hier angelegt.

Auf dem Kremlplatz steht auch die Zar Puschka, die Große Kanone, aus der jedoch nie ein Schuss gefeuert wurde. Auch Zarenglocke kam nie zum Einsatz. Die 210 Tonnen wiegende Glocke bekam kurz nach ihrer Fertigstellung durch einen Brand Risse und ein 12 Tonnen großes Stück platzte ab. In den Sälen des großen Kremlpalastes finden Staatsempfänge statt.
Nach dem Kremlplatz gelangt man auf den Roten Platz. Auf dem 60.000 qm großen Platz befindet sich auf der einen Seite das Lenin-Mausoleum, auf der anderen Seite das Kaufhaus GUM, das 1993 zu seinem 100. Geburtstag gründlich renoviert wurde. Auch hier findet man eine Vielzahl westlicher Edelboutiken in überglasten Ladenpassagen.
Am Ende des Roten Platzes steht sie dann, die Basilius-Kathedrale, das Wahrzeichen Moskaus mit ihren vielen kleinen bunten Kuppeln. Zu ihren Füßen wird der Marathon gestartet, zu dem man sich auch noch unmittelbar vor dem Lauf anmelden kann.

Ich habe mich aber schon ein paar Tage vorher zum Olympischen Schwimmstadion begeben, wo die Startnummern im Vorfeld ausgegeben werden. Es gibt keine Marathonmesse, sondern nur einen kleinen unscheinbaren Raum im ersten Stock.
Den ausländischen Läufern wird geholfen. Die Daten werden von einem der englischen Sprache mächtigen Mitarbeiter des Organisationsteams auf kyrillisch in das Anmeldeformular eingetragen. So wird mein Name sicherlich später in der Ergebnisliste zu finden sein.
Im Startgeld von 40 USD, die ich in $ in bar bezahle, ist die Pastaparty, ein Finisher T-Shirt und eine kleine Medaille enthalten. Dazu bekommt man ein großes Poster. So schlicht die Startnummernausgabe, um so erstaunter bin ich über die Pastaparty in den Räumen des neben der Schwimmhalle gelegenen Stadions.
Wie ich es von Italien kenne, gibt es vorab Wurst, wobei es sich hier aber auch um eine Sponsorengabe handeln kann.
Dann geht es die Treppe hinauf in verschiedene Räume, in der man sich wie in einer Disco vorkommt. Die Pasta ist vom Feinsten. Pizza, Lasagne, verschiedene Spaghetti mal scharf, mal mit reichlich Käse, sowie Käsehäppchen und Frikadellen werden gereicht. Schmeckt alles vorzüglich, wenn gleich bereits etwas kalt. Zu trinken gibt es nicht nur Wasser sondern allerlei Säfte.
Jugendliche und Kinder tragen mit Musikdarbietungen zur Unterhaltung bei. Über Flachbildschirme sind diese in allen Räumen zu sehen. Die Musik begeistert, das hat Sound und ist wirklich gut gemacht. Die Kleinen präsentieren sich als kleine Stars.

Nach drei Sommertagen mit keinen oder nur wenig Wolken ist es am Marathontag bewölkt. Dadurch wird es am Mittag nicht ganz so warm, die Temperaturen beim Start um 12:00 Uhr Mittags bewegen sich dennoch im Bereich der 20°C Marke. Nach dem Start geht es zunächst über die Boloshaya Moskovoretskiy Brücke und nach einer kleinen Auftaktschleife nach rund 3 ½ Kilometern wieder zurück zum Start.
Dann geht es hinunter an die Moskwa. An der Uferstraße biegen wir zunächst nach rechts ab und laufen bis kurz vor die Erlöser-Kathedrale.
Nach dem Wendepunkt geht es auf selber Straße in die andere Richtung. Dabei geht es vorbei am Hotel Ukraina, ebenfalls im pseudogotischen Zuckerbäckerstil erbaut, bis wir auch in dieser Richtung den Wendepunkt erreichen.
Es geht zurück und die 10 km Läufer, die zeitgleich mit uns Marathonläufern gestartet sind, biegen nun rechts ab ins Ziel.

Wir Marathonis laufen weiter auf dieser Straße, die nun in beide Richtungen verlängert wird. Zwei Mal müssen wir auf dieser Strasse den Wendepunktkurs noch bewältigen. Das geht an die Psyche. Auf der erweiterten Runde laufen wir nun an der Erlöser-Kathedrale vorbei und sehen später von weitem die Achterbahnen des Gorki-Parks, sowie nicht etwa ein Spaceshuttle, sondern eine russische Buran, die aber nie zum Einsatz kam.
Der dann folgende Abschnitt bietet nichts sehenswertes, so konzentrieren sich meine Blicke auf die Läufer und Läuferinnen, die vor oder hinter mir liegen, denn sie laufen ja jeweils auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Einige junge Läuferinnen sind im Teilnehmerfeld, mit zum Teil beachtlichem Tempo.
Kurz, nachdem ich die 25 km Marke passiert habe, überholen mich zwei dieser jungen Läuferinnen. 2:40 sind hier vergangen und die Damen haben gerade km 41 passiert. Ich werde an dieser Stelle später 4:33 auf dem Konto haben.
Immer mehr kommen ohne Startnummer daher. Nicht, dass sie keine bekommen haben, sondern diese waren nur aus Papier und begannen sich im Laufe der Zeit durch den Schweiß regelrecht aufzulösen. Eigenartiger Weise hat meine fast unbeschadet den Wettkampf überstanden.

Zuschauer gibt es nur einige wenige dort, wo der Abzweig zum Ziel ist, ansonsten findet dieser Wettbewerb unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Werbeplakate habe ich auch nur an der Startnummernausgabe gesehen und sonst nirgends in der City. Sicherlich haben die meisten Touristen überhaupt nichts vom Marathon mitbekommen.
Auch die Verpflegung ist sehr dürftig. Neben Wasser wird eine bräunliche Flüssigkeit gereicht, die süßlich schmeckt und wohl Tee ist, auch wenn diese aus Gatorade Behältern kommt. Fast immer befinden sind die Verpflegungsstationen unter Brücken, so werden die Helfer nicht nass, sollte es regnen. Bananen gibt es nicht, nur Brotstückchen in Salz gelegt.
Nach 4:41 erreiche ich das Ziel. Ich hatte nach den langen Sightseeing Spaziergängen sicherlich etwas schwere Beine. Dennoch hat sich die Reise nach Moskau in allen Belangen gelohnt, bis auf die Umleitung meines Rückflugs zum Baden Airport, da der Stuttgarter Flughafen, wegen einer ohne ausgefahrenes Fahrwerk notgelandeten Maschine, in der auch Franz Müntefering saß, für Starts und Landungen gesperrt war.
 
Viele Grüße
Michael Weber